Die Landschaft der Matronen
Veröffentlicht im Katalog zur Ausstellung Matronis, Zülpich 2001
Schon immer hat der Mensch sich in Beziehung erfahren: in Beziehung zu sich selbst,
zu anderen Menschen, zu seiner sichtbaren Umgebung und zu dem dahinterstehenden
Unsichtbaren, dem Göttlichen. Aus diesen Beziehungen heraus gestaltete sich das
Leben und aus diesen Beziehungen heraus erfuhr der Mensch den Sinn seines Seins.
Wie sahen diese Beziehungen zur Zeit der Matronenverehrung im Rheinland aus?
Den Menschen der keltischen Kultur war es eine Selbstverständlichkeit, sich im
rhythmischen Wechsel des Lebendigen zu empfinden, im Stets-Bewegten des Lebens,
dem zwar eine geschöpfte Ordnung zugrunde lag, welche festzulegen aber der
Ordnung widersprochen hätte.
So gibt es aus keltischer Hand keine Berichte über
keltisches Leben, keine Landschaftsbeschreibung,
keine Darstellung keltischer Gottheiten und keine
steinernen Schrifttafeln. Das vorhandene große
Wissen wurde mündlich weitergegeben und so
durch die Erfahrung des Lehrenden erneuert. Es
blieb dadurch immer lebendig.
Unser heutiges Wissen über die Kelten und Germanen stammt daher aus anderen
Quellen: aus den Berichten griechischer und römischer Schriftsteller, aus der
Sprachforschung, aus tradierten Mythen und Epen und nicht zuletzt aus den
Forschungsergebnissen der Archäologie und ihrer Nachbardiziplinen. Die
Archäobotanik, ein Zweig der modernen Archäologie, ermöglicht es beispielsweise, die
Landschaft des Rheinlandes zur Zeit der Matronenverehrung zu rekonstruieren.
Pflanzenreste - Pollenkörner, Sämereien und Holzreste, welche bei archäologischen
Ausgrabungen, in Mooren oder in Seen gefunden werden, geben Auskunft darüber,
welche Pflanzen es damals gab und wie die damalige pflanzliche Umwelt beschaffen
war.
Nach archäologischer Terminologie handelt es sich bei der vorrömischen Zeit, als im
Rheinland die Eburonen lebten, um die Latènezeit (250 bis ca. 50 v. Chr.). Schon in der
Laténezeit hatte sich die ursprüngliche Landschaft - ein Linden - Urwald - in Folge
einer bereits im 6. Jahrtausend vor Christus beginnenden Ackerbaugeschichte
allmählich von einer Natur- in eine Kulturlandschaft verwandelt. Als Caesar´s Truppen
55 v. Chr. die rheinische Bördelandschaft erreichten, lag vor ihnen nicht - wie es
römische Schriftsteller aus propagandistischen Gründen gerne glauben machen wollten
- ein unwirtlicher Urwald mit unzivilisierten Germanen, sondern eine durch
Landwirtschaft geprägte Landschaft, in der es alles zu holen gab, was die damalige
keltische Welt zu bieten hatte.(s. Abb.) Die Menschen wohnten in kleinen ortsfesten
Dörfern in kleinen Wohnhäuser, die sich vielleicht um einen Kultpfahl gruppierten.
Dazwischen gab es Speicherbauten, außerhalb der Dörfer lagen Öfen zur
Eisenverhüttung.
Es gab kunstvolles Handwerk, alle
bekannten Wissenschaften, Musik
und ein differenziertes soziales und
religiöses Leben. Auf den Feldern
wuchsen vorwiegend Emmer, Dinkel,
Hirse und Gerste, es gab aber auch
Ölfruchtpflanzen (Lein, Schlafmohn
und den heute wenig bekannten
Leindotter), Hülsenfrüchte (Erbsen,
Linsen und Ackerbohnen); zum
Kulturpflanzenspektrum gehörten
auch bereits erste Gemüse- und
Salatpflanzen. Ergänzt wurde das
Kulturpflanzenspektrum für die
Ernährung durch in der Umgebung
gesammelte Pflanzen, durch
Wildobst wie Wildäpfel, Brombeeren
und Haselnüsse und einer großen
Vielfalt an Wildkräutern, die als Gemüse-, Gewürz- oder Arzneipflanzen genutzt
wurden.
Die Viehhaltung hatte in der Spätlatènezeit eine große Bedeutung. Es wurde nicht nur
in den Talauen Gründlandwirtschaft betrieben, auch die Wälder weisen zu dieser Zeit
Merkmale einer viehwirtschaftlichen Nutzung auf. Die landwirtschaftlichen Tätigkeiten
sind derartig umfangreich, daß sich bereits erste Umweltzerstörungen, wie eine
Verhagerung von Ackerflächen oder eine Bodenerosion bemerkbar machen. Nach
Ansicht von Kulturanthropologen gehen die meisten unserer heutigen Bauernregeln
und -weisheiten auf die damalige Zeit zurück.
Mit den Römern kam zunächst eine Welle der Zerstörung ins nördliche Rheinland. Der
in der Voreifel sesshafte Stamm der Eburonen („Stamm der Eiben“) wurde, nachdem
diese unter Führung des Fürsten Ambiorix im Winter 55/54 v. Chr. anderthalb Legionen
Caesars überlistet und besiegt hatten, im Jahre 53 v.Chr. in einer Art Strafexpedition fast
vollständig ausgerottet. Später wurden die anscheinend nahezu entvölkerten Gebiete
mit Ubiern besiedelt, die den Römern mutmaßlich aufgeschlossener begegneten.
Römische Siedlungsanlagen wurden errichtet, Straßen, Siedlungen, Landgüter (villae
rusticae) und Wasserleitungen gebaut.
Während die eisenzeitlichen Gehöfte Landwirtschaft für den Eigenbedarf der
Bewohner betrieben, produzierten die villae rusticae in großem Maßstab für die
Versorgung der Militärlager und Städte der Provinz Niedergermanien. Gleichzeitig mit
dieser Veränderung der Produktion wurde eine Vielzahl neuer Nutzpflanzen angebaut,
welche die Römer aus dem Süden mitgebracht hatten: Dill, Kümmel, Petersilie und
Sellerie gehören dazu, Walnuß, Edelkastanie und Kulturobstarten wie Süßkirsche,
Pflaume, Pfirsich, Gartenapfel, Birne und Weinbeere. Getreide blieb aber auch in der
Römerzeit die Nahrungsgrundlage von einheimischer Bevölkerung wie von römischer
Besatzung, die Hauptanbaufrüchte sind nun Dinkel, Emmer, Saatweizen und Gerste.
Was wissen wir von der geistigen Beziehung der Menschen damals zu ihrer Umgebung
? Der Mensch erlebte sich seit Alters her im Rhythmus der Natur, im Wachsen und
Schwinden, im Geben und Nehmen, in Tod und neuem Leben, das aus Begegnung
entsprang. So war der Ackerbau gleichsam eine vollzogene Befruchtung: in den Schoß
der Erdenmutter wurde der Saat-Same gelegt. Dabei war der Ackerbau eine Arbeit, die
Frauen verrichteten. Zu Zeiten wurde auf frischgesäten Feldern der Beischlaf zwischen
Mann und Frau vollzogen, die Fruchtbarkeit von Mensch und Erde innig verknüpft. Daß
dieses große Wunder, mit der Erde zeugen zu dürfen, nur durch die höchste kosmische
Gnade gewährt sei, daran zweifelte kein Mensch“ (H.Jacob*). Mit dem Geschenk, das
Mutter Erde gab, verband sich der Mensch durch Opfer und Gebet. Er dankte für die
Gaben und bat um zukünftige. Durch Nehmen und Geben blieb die Beziehung
zwischen Mensch und Erde in Fluß und belebte die ätherische Welt, deren wesentliches
Merkmal Fluß und Transzendenz ist. Den Rhythmus der Jahreszeiten mit der sich stets
erneuernden Vegetation, dem Atmen der Erde und mit dem Wandel der Gestirne
begleitete er mit heiligen Ritualen. Das Beseelte in der Natur, das Wissen um
Bewußtsein in den Pflanzen und die Welt der Elementarwesen war in den Alltag
einbezogen, und zu der darinnen sich befindenden Anderswelt, dem
dahinterstehenden großen Göttlichen waren PriesterInnen ausgebildete Boten. Das
Weibliche als Kraft der Urschöpfung und der Fruchtbarkeit, des Sanften aber
Durchdringenden, des Rhytmischen und Webenden, des Empfangenden,
Fürsorglichen und Hingebenden erfuhr Wertschätzung und Verehrung.
Es täte uns gut, diese Kräfte in uns und in der Welt heute wieder zu beleben.
Dr. Anne Katharina Zschocke
*Heinrich Eduard Jacob: Sechstausend Jahre Brot. Rowohlt Verlag Hamburg 1954