Das Wasser von Köln
Ansprache zum Konzert Wasserklänge am 28. März 2009 im
Stadtmuseum Euskirchen
Meine sehr verehrten Damen und
Herren, liebe Wasserfreunde!
Köln ist eine große Stadt. Sie liegt am
Wasser, dem Rhein. Der Rhein ist ein
breiter Fluß, aber das Grundwasser des
Rheins fließt noch breiter. Es fließt bis
zum Filzengraben, zum Mühlenbach
und zum Blaubach. Zwischen dem
Mühlenbach und dem Blaubach liegt
der Waidmarkt. Dort steht das
Gebäude des Friedrich-Wilhelm-
Gymnasiums, des FWG. Es steht zur
Zeit leer, weil ihm das Stadtarchiv vor
die Füße gefallen ist. Genauer gesagt,
dem Ikaros unter die Füße. Über dem
Eingag des FWG hing nämlich eine
große Plastik des Ikaros, des Symbols
der Überheblichkeit.
Die Menschen in Köln lebten immer
vom Wasser. Zu römischer Zeit floß
frisches Wasser aus der Eifel nach Köln. Man baute ihm Tempel. Im Mittelalter brachten
die Hanseschiffe übers Wasser großen Reichtum nach Köln. Aus Dankbarkeit baute man
viele Kirchen, so daß sogar die Stadtmauer erweitert werden mußte.
Später vergaß man das Wasser ein bißchen. Aus dem Filzengraben, dem
Mühlengraben, dem Blaubach und allen anderen Bächen wurden asphaltierte Straßen.
Da wurde das Wasser traurig. Es wurde von Vater Rhein getröstet: Macht nichts, wir
überleben unterirdisch weiter. Und es gibt ja noch schöne Brunnen und Springbrunnen
in der Stadt mit bewegtem Wasser.
Aber die Menschen wollten ihr Geld lieber für andere Dinge ausgeben und so wurden
eines Tages auch die Springbrunnen abgestellt. Da wurde das Wasser noch trauriger.
Ein paar Flötentöne kamen vorbeigeflogen, um das Wasser zu trösten.
Zuerst kamen Töne von Arthur Honegger. Sie erzählten: … Dann kamen Töne von
Claude Debussy:... Zuletzt kamen Töne von Jules Mouquet:....
Das Wasser war glücklich über die wäßrige Musik.
Im Friedrich-Wilhelm-Gymnasium spürte man nichts vom unterirdischen Wasser. Die
Schülerinnen und Schüler, so wie ich auch vor etlichen Jahren, lernten dort
humanistische Bildung. Sie lernten auch, daß der Ikaros ein Symbol für den Menschen
ist, der das rechte Maß nicht respektiert, der in überheblicher Weise seine Grenzen
überschreitet und dafür mit dem Tode bezahlt.
So war es in der großen Stadt Köln.
Aber die Stadt wurde immer trockener. Und das Wasser immer trauriger. Und die
Menschen merkten es nicht. Sie beschlossen sogar, das Wasser unterirdisch
beiseitezuschaffen, weil es sie beim U-Bahn-Bau störte.
Da fragte sich das Wasser, wie es denn die Menschen auf sich aufmerksam machen
könne. Wo war den Menschen das Wasser denn überhaupt noch etwas wert? Ach ja: in
der Kirche. Da gab es Taufwasser und Weihwasser. Also ließ das Wasser von Köln einen
Kirchturm an der Severinsstraße schief rutschen, um den Menschen zu zeigen, daß
schräg ist, was sie da treiben.
Aber die Menschen begriffen es nicht.
Sie stellten tiefe Mauern unter die Erde, die den Grundwasserfluß unterbrechen sollten
und bauten riesige Pumpstationen, die alles Wasser wegschaffen sollte, was da war.
Jetzt war das Wasser von Köln nicht mehr nur traurig. Jetzt wurde es zur Ader gelassen
und geriet in Todesangst. Es überlegte zusammen mit Vater Rhein, wie sie denn die
Menschen dazu bringen könnten, das Wasser wieder wert zu schätzen. „Wir müssen
Symbole dafür finden, daß die Menschen nicht so überheblich sein sollen und so tun,
als könnten sie gegen das Wasser leben, und daß sie an uns denken sollen.“ dachten
sich Vater Rhein und das Wasser von Köln. Und das Wasser fand den Ikaros als Symbol
der Überheblichkeit und das Stadtarchiv als Ort des Gedenkens.
Und es ließ das Stadtarchiv am 3. März 2009 unter die Füße des Ikaros fallen. Es gab
sich dabei noch große Mühe, daß möglichst wenige Menschen zu schaden kamen. Und
um sicherzugehen, daß es diesmal verstanden würde, flüsterte es dem Bürgermeister
nachts im Traum zu: „Der U-Bahn-Bau muß gestoppt werden, bis ihr Frieden mit dem
Wasser geschlossen habt.“ Doch als der Bürgermeister morgens erwachte, erinnerte er
sich nur an eine Hälfte des Satzes. Er sagte den Ratsleuten: „Der U-Bahn-Bau muß
gestoppt werden.“ Aber das war bald wieder vergessen.
Gottseidank begriffen ein paar Menschen, was sich da abgespielt hat und bemühen
sich redlich, dem Wasser von Köln Achtung, Dank, Liebe und Aufmerksamkeit
zuzuwenden.
Die Stadtväter und U-Bahn-Bauleute begriffen es aber nicht. Und weil sie nicht
verstanden haben, worum es eigentlich geht, nämlich darum, Frieden mit dem Wasser
zu schließen, sitzen sie seither ratlos da, reden sich ein, sie hätten alles richtig gemacht
und streiten sich heftig.
Vielleicht sollten sie sich zur Erholung einmal wieder der Schönheit des Wasser
zuwenden.
Dazu gibt es heute Abend Gelegenheit: Musik, Poesie und Tanz zum Thema Wasser.
…
Und das Wasser von Köln?
Alles Wasser der Erde ist miteinander verbunden, so widmen wir das Konzert heute
Abend dem Wesen des Wassers von Köln.
Frieden mit dem Wasser der Welt.